25. September 2024
GBME erhält „Junge Perspektiven“-Förderung und wird Arbeitsgruppe der GWMT
Für den Workshop „Bio- und Medizinethik in historischer Perspektive“, der am 5. und 6. Juni 2025 in Wien stattfindet, erhält das Netzwerk eine Förderung von bis zu 1.000 EUR aus dem Förderprogramm „Junge Perspektiven“ der Gesellschaft für die Geschichte der Wissenschaft, Medizin und Technik (GWMT).
Das Netzwerk „Geschichte der Bio- und Medizinethik“ wurde am 25. September 2024 von der Mitgliederversammlung der GWMT offiziell als eigenständige Arbeitsgruppe in die Gesellschaft aufgenommen.
18.-19. April 2024 Ernst-Haeckel-Haus
Berggasse 7
07745 Jena
Arbeitstreffen: Geschichte der Bio- und Medizinethik im 20. Jahrhundert
Die Mitglieder des Netzwerks „Geschichte der Bio- und Medizinethik“ (GBME) trafen sich am 18. und 19. April 2024 zu einem Vernetzungstreffen im Ernst-Haeckel-Haus der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im Mittelpunkt standen das Kennenlernen der alten und neuen Netzwerkmitglieder und der fachliche und organisatorische Austausch.
Die Teilnehmenden des Netzwerktreffens
Veranstaltungsort: Ernst-Haeckel-Haus der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Eindrücke aus der Hausführung: Das Arbeitszimmer von Ernst Haeckel
Christina Brandt, Professorin für Geschichte und Philosophie der Naturwissenschaften, eröffnete das Treffen mit einem kurzen Grußwort. Die Wissenschaftshistorikerin und Leiterin des Ernst-Haeckel-Hauses betonte besonders das in den letzten Jahren stetig gewachsene historische Interesse an bio- und medizinethischen Fragen. Lukas Alex von der Universität Bayreuth dankte anschließend Anna Derksen für die tatkräftige Organisation des Netzwerktreffens und Christina Brandt für die Gastfreundlichkeit.
Inhaltlich startete des Netzwerktreffen mit einem ersten Panel zum Themenfeld Sterilisationspolitik, Vergangenheitspolitik und Erinnerungsdiskurs. Den Aufschlag machte STEFAN JEHNE (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam) mit einem Vortrag zur Sterilisationspolitik und -praxis in der SBZ und DDR. Im Osten Deutschlands wurde, so berichtete Jehne, das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwar bald nach 1945 ausgesetzt, die Praxis der Sterilisation jedoch in einigen Fällen illegal weiter betrieben, wenn auch vordergründig ohne Zwang. Der Potsdamer Historiker skizzierte die vielschichtigen Etappen bis zur Zulässigkeit der Sterilisation, die im Jahr 1969 per Verordnung realisiert wurde. Dabei arbeitete Jehne die biopolitischen Motive der beteiligten Mediziner*innen heraus, die – anders als die Politiker*innen – keinem ‚vergangenheitspolitischen Dogma‘ folgen mussten. Hieran anknüpfend thematisierte ANNA DERKSEN (Universität Greifswald) den öffentlichen Diskurs über Sterilisation und Lobotomie in den 1990er-Jahren in Schweden. Die Lobotomie, eine neurochirurgische Operationspraxis, galt in den 1940er- bis 1960er-Jahren als ‚Wunderbehandlung‘ für psychisch deviante Menschen. Im Fall dieser oft unter Zwang durchgeführten Operation, so arbeitete Derksen heraus, wurden Entschädigungen von der schwedischen Regierung mit der Begründung abgelehnt, dass diese dem damaligen medizinischen Wissensstand entsprochen hätte und damit keine (Mit-)Verantwortlichkeit des Staates bedingte. Etwa zeitgleich begann eine Debatte über die Entschädigung von Sterilisationsgeschädigten. Hier beobachtete Derksen eine größere Offenheit für staatliche Entschädigungen auf Basis einer nachträglichen, ethischen Neubewertung, die zu einer grundlegenden historischen Aufarbeitung und 1999 zu einem Entschädigungsgesetz führte, und erklärte dies mit der größeren medialen, öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit für Sterilisationen gegenüber Lobotomien.
Am Nachmittag führte Christina Brandt die Teilnehmende durch das Ernst-Haeckel-Haus und informierte über das Leben und Nachleben des Jenaer Zoologen und Evolutionsbiologen, der im Hinblick auf seine zoologischen Forschungsleistung und der Popularisierung des Darwinismus in Deutschland eine ambivalente Beurteilung notwendig macht. Vor dem Hintergrund der Entwicklung des Netzwerks in den letzten Jahren, knapp umrissen von Lukas Alex, tauschten sich die Mitglieder über zukünftige Ziele, Perspektiven und Organisationsformen des Netzwerks aus. Im Anschluss klang der Abend bei regen Gesprächen im anatolischen Restaurant Köz aus.
Am Freitagvormittag eröffnete MAIKE ROTZOLL (Philipps-Universität Marburg) das zweite Panel mit einem Vortrag zu „Arzneimittelprüfungen an Minderjährigen im Langzeitbereich der Stiftung Bethel in den Jahren 1949 bis 1975“. Sie präsentierte Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt über Arzneimittelversuche, die ohne Einverständnis der Proband*innen in den Heimen der Stiftung Bethel durchgeführt wurden. Derartige Arzneimittelversuche waren in der Bundesrepublik der 1950er- und 1960er-Jahre weder legal noch legitim, stellten aber trotzdem einen Teil der Lebensrealität in Bethel dar. Sie galten, so die These von Rotzoll, nicht als risikoreiche Versuche am Menschen im engeren Sinne, sondern als selbstverständlicher und unbedenklicher Bestandteil von Pflege und Therapie im Heim – obwohl sie klaren forscherischen Zwecken dienten. Im zweiten Vortrag des Panels beleuchtete NORA SCHIERENBECK (Bergische Universität Wuppertal) die Verschiebung von einer kategorialen zu einer dimensionalen Perspektive in der Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen. In ihrem Untersuchungszeitraum von 1980 bis 2022 bemaß Schierenbeck die Auswirkung von Veränderungen im Wissen über Persönlichkeitsstörung und zeichnete nach, inwiefern dieser Wissenswandel die verschiedenen Klassifikationssysteme zwischen Wissenschaftlichkeit und Pragmatismus beeinflusste. Schierenbeck zeigte damit, wie fachliches Wissen und dimensionale Modelle aus der Persönlichkeitspsychologie in die medizinische und psychiatrische Diagnostik Einzug hielten, fragte in ihrem Projekt aber auch nach der Einbeziehung von Patient*innen.
Der letzte Vortrag des Treffens, den FELIX SOMMER (Ludwig-Maximilians-Universität München) hielt, rückte die Institutionalisierung der Medizinethik in der Bundesrepublik in den Mittelpunkt und warf u.a. grundsätzliche Fragen nach dem historischen Zusammenhang zwischen Geschichte und Ethik der Medizin auf. Sommer legte dar, wie sich unterschiedliche Phasen der Institutionalisierung über mehrere Jahrzehnte hinweg allgemein herauskristallisierten, wie sich ethische Diskurse diskontinuierlich etablierten und wie sich - als Beispiel eines Aspekts der Institutionalisierung - komplexe Annäherungs- (und ggf. auch Entfremdungs-)prozesse universitärer Medizingeschichts- und Medizinethiklehre abspielten. Der Referent zeigte auf breiter Quellengrundlage, dass sich diese offenen Prozesse zwischen den Polen extrinsischer Disziplinierung und intrinsischer Professionalisierung zu bewegen schienen.
Bericht von Lukas Alex
12. Mai 2023
online
Call for participation: Forschungsnetzwerk GBME
Das Forschungsnetzwerk GBME dient dem wissenschaftlichen Austausch über die Geschichte der Bio- und Medizinethik in Deutschland.
Insbesondere Nachwuchsforscher*innen haben hier die Möglichkeit, sich über Themen und Ansätze auszutauschen, Ideen und Ergebnisse zu präsentieren, gemeinsam Veranstaltungen zu planen und zu besuchen, von der Diskussion verwandter Projekte zu profitieren und Publikationen zu teilen. Weiteres über das Netzwerk findest Du unter www.geschichte-biomedizinethik.de. Unser aktuelles Ziel ist es, das Profil des Netzwerks zu schärfen und einen Raum zu bieten, um uns über unsere jeweiligen Projekte niedrigschwellig und mit fachlicher Tiefe austauschen zu können. Darüber hinaus wollen wir weitere Anknüpfungspunkte zu aktuellen oder transdisziplinären Thematiken bieten, um das Netzwerk langfristig zu etablieren.
Kurzfristig geplant sind:
- Monatliche Online-Netzwerktreffen für Organisation, fachlichen und informellen Austausch
- Etablierung jährlicher Arbeitstreffen in Präsenz
Ausgangspunkt des Netzwerks war die Beschäftigung mit ethischen Debatten zur Gentechnik und Reproduktionsmedizin in den 1970er und 1980er Jahren und mit der Institutionalisierung der Bio- und Medizinethik im deutschsprachigen Raum. Bereits jetzt zeichnet sich jedoch auch die Notwendigkeit einer Erweiterung in inhaltlicher, methodischer, zeitlicher und geographischer Hinsicht ab. Daher wollen wir nun mit einem betont weiten Verständnis von „Ethik“ und „Geschichte“ uns dem Thema zuwenden.
Dabei interessieren uns beispielsweise Fragen wie:
- Wie entwickelte sich die Medizinethik jenseits der Gentechnik und Reproduktionsmedizin?
- Wie können Ethiken von nicht-menschlichen Tieren und Pflanzen miteinbezogen werden?
- Wie lassen sich ethikhistorische Fragestellungen sowohl im Mikroskopischen (Mikroorganismen, Zellen, Moleküle) als auch im Makroskopischen (Klimawandel, Ökologie, Evolutionsbiologie, Gaia-Hypothese) mitdenken?
Angesichts dieser und weiterer Fragen, ist die interdisziplinäre Vernetzung mit anderen Forschenden (z.B. aus der Medizingeschichte, Zeitgeschichte, STS, Philosophie) für uns von großem Interesse. Im Rahmen der Vernetzung sind verschiedene Formate denkbar, wie beispielsweise die Planung von Veranstaltungen, die Pflege einer einschlägigen Literaturdatenbank und die gegenseitige Begleitung der Schreibprozesse. Wir freuen uns über interessierte Menschen – insbesondere auch über Nachwuchswissenschaftler*innen – , die ebenfalls in diesen Bereichen forschen.
24. Februar 2022 online
Arbeitstreffen: Leben machen
Das interdisziplinäre Arbeitstreffen "Leben machen" diskutierte die Zeit ab den 1970er-Jahren, als die Lebenswissenschaften als neue Leitwissenschaften wahrgenommen wurden.
Mit den neuen Forschungsfeldern Gentechnik und Reproduktionsmedizin entwickelten sich konfliktträchtige Diskurse rund um das Thema der künstlich-technischen Herstellung und Manipulation von Leben, deren Anwendung – so schien es – unmittelbar bevorstand. Besonders der Überschneidungsbereich der Technologien wurde in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit rege diskutiert. Die einen taten die Kombination von Gen- und Reproduktionstechnologien als rein imaginär ab, andere sahen bereits erste Schritte von der Zurichtung der Natur hin zur Züchtung von Menschen. Forschungsarbeiten in diesem Bereich können sich auf medienwissenschaftliche, politikwissenschaftliche und soziologische Untersuchungen der Diskurse stützen – eine medizin- und wissenschaftshistorische Perspektive steht noch am Anfang. Hier setzte das Netzwerktreffen an.
Bei dem Arbeitstreffen lag der Fokus auf Quellenarbeit, die Aussagen bezüglich der Diskurspraktiken, der Rolle verschiedener Akteur*innen und der historischen Schwerpunktsetzungen erlaubt, und richtete sich insbesondere an Forscher*innen aus Angewandter Ethik, Wissenschaftsgeschichte oder Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin.
18. Februar 2021 online
Arbeitstreffen: Geschichte der
Bio- und Medizinethik in Deutschland
Das interdisziplinäre Arbeitstreffen vernetzt Nachwuchsforscher*innen, die zur Geschichte der Bio- und Medizinethik in Deutschland forschen.
Die Geschichtsschreibung der Bio- und Medizinethik konzentriert sich vor allem auf die Geschichte der bio- und medizinethischen Ideen und ihre Herleitung aus ärztlichen Standescodizes oder moralphilosophischen Debatten. Diese waren ohne Zweifel prägend für die heutige Bio- und Medizinethik – eine Analyse der Akteur*innen dieses historischen Prozesses, der gesellschaftlichen Bedingungen, der sozialen Praktiken und Diskursregime steht allerdings noch aus.
Die Wahrnehmung der Lebenswissenschaften als Leitwissenschaften und die öffentlichen und politischen Diskussionen über Chancen und Risiken von neuen medizinischen und biologischen Technologien prägten die 1970er und 1980er Jahre in der Bundesrepublik. Die Sperrfrist für die entsprechenden Archivbestände ist nun abgelaufen, was zahlreiche Forschungsmöglichkeiten eröffnet. Dieses Material wird inzwischen von Forscher*innen aus Angewandter Ethik, Wissenschaftsgeschichte oder Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin - verschiedene Disziplinen, die allerdings oft nicht miteinander in Kontakt stehen. Das Arbeitstreffen “Geschichte der Bio- und Medizinethik in Deutschland” legte einen Grundstein für eine interdisziplinäre Vernetzung, um gegenseitige Anregung und Unterstützung bis hin zur Planung größerer Projekte zu ermöglichen.