Über uns

Wie vernetzen Forscher*innen, die sich mit der Geschichte der Bio- und Medizinethik in Deutschland befassen.

Mein Interesse an bioethischen Debatten entwickelte sich parallel zu meinem Dissertationsprojekt zur Wissensgeschichte der Humangenetik in der frühen Bundesrepublik, welches ich seit dem Abschluss meines Studiums der Geschichte und Mathematik in Münster verfolge. In dem Projekt versuche ich die rassenhygienischen Kontinuitäten und Transformationen humangenetischer Forschungspraktiken und Wissensbestände in der Phase fachlicher Reorganisation präzise zu bestimmen. Als Analyseschema dienen hierbei die Leitkategorien humangenetischer Forschung und Beratung: „Bevölkerung“, „Familie“ und „Individuum“.

Das Projekt möchte nicht nur die Produktion von Vererbungswissen verfolgen, sondern auch die Zirkulation und Anwendung humangenetischen Wissens in privaten und gesellschaftspolitischen Kontexten untersuchen. Bereits für die 1960er Jahren lässt sich eine Intensivierung des Diskurses um die Anwendbarkeit neuer Technologien zeigen, der innerhalb wie außerhalb der Disziplin geführt wurde. Für ein Verständnis der bio- und medizinethischen Debatten hilft es die Wissenspraktiken an der Scharnierstelle zwischen Diktatur und Demokratie zu betrachten, weil hier doch ein wesentlicher Anteil an der Hervorbringung und Reformulierung dieser Problemstellungen zu vermuten ist.

An dieser Stelle schließen die Fragerichtungen des Netzwerks „Geschichte der Bio- und Medizinethik“ an, von dem ich mir eine breitere Historisierung der bio- und medizinethischen Diskurse erhoffe. Ich freue mich auf spannende Projekt zwischen Philosophie, Wissenschaftsgeschichte sowie Geschichte und Ethik der Medizin. Ich möchte mit meinem Projekt dazu beitragen, die Wechselwirkungen zwischen Wissensproduktion, Anwendungswissen und Technologien sowie ethischen Problemstellungen zu historisieren.

Ich habe an der Universität Kassel Philosophie und Germanistik studiert (Bachelor) und den Masterstudiengang „Philosophie der Wissensformen“ absolviert. Bereits während dieser Zeit habe ich mich auf die Philosophie und Geschichte der Lebenswissenschaften spezialisiert; so war ich während des gesamten Masterstudiums Mitglied der Forschungsgruppe „Integrative Biophilosophie“ und beschäftigte mich schwerpunktmäßig mit der Geschichte und Methodologie der Verhaltensforschung an Tieren.

Mein Interesse an den Kontexten der Entstehung und Entwicklung wissenschaftlichen Wissens ist auch leitend für mein Dissertationsprojekt, das ich an der Ruhr-Universität Bochum aufnahm und (aufgrund des Wechsels meiner Betreuerin und Projektleiterin) an der Friedrich-Schiller-Universität zu Ende führe.

In meiner Forschung beschäftige ich mich mit der Geschichte der Gentechnologie in den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik. Mich interessieren die verschiedenen Positionen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit zu diesem Thema. Im Zusammenhang mit dem Netzwerk „Geschichte der Bio- und Medizinethik in Deutschland“ ist auch die Etablierung einer kritischen Wissenschaftsforschung ein spannendes und wichtiges Forschungsgebiet, hat doch die Auseinandersetzung mit dem Thema Gentechnologie zu ihrer institutionellen Herausbildung beigetragen.

Mein Interesse am praktischen Umgang mit ethischen und ökologischen Fragestellungen begleitet mich seit meinem Studium an der WWU Münster. In meiner Masterarbeit beschäftigte ich mich mit der Entstehung bewusster Ernährung in den 1970er und 1980er Jahren und untersuchte, wie ethisch-ökologische Motive praktisch in der Forderung nach alternativen Ernährungskonzepten umgesetzt wurden.

In meinem im DFG-Graduiertenkolleg 1919 „Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln“ der Universität Duisburg-Essen angesiedelten Dissertationsprojekt beschäftige ich mich mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Gentechnologie in der Bundesrepublik Deutschland in den 1980er Jahren. In diesem Rahmen habe ich ein tiefgreifendes Interesse an der Erforschung der Geschichte der Bio- beziehungsweise Lebenswissenschaften entwickelt. Dabei interessiere ich mich anknüpfend an meinen Studienschwerpunkt weniger für die traditionellen Akteur*innen der Wissenschaftsgeschichte, als vielmehr für Akteur*innen und Debatten, die sich irgendwo zwischen den Grenzen von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft verorten lassen. Im Sinne einer politischen Wissensgeschichte untersuche ich am Beispiel der Gentechnologie die Bedeutung von Wissen als politische Ressource im Kampf um die Deutungshoheit in Bezug auf technologiepolitische Entscheidungen, wobei insbesondere ethische Fragen eine zentrale Rolle spielen. Ich freue mich, über die Zusammenarbeit im Netzwerk „Geschichte der Bio- und Medizinethik in Deutschland“ weitere spannende Forschungsprojekte aus dem Bereich kennenzulernen.

Mein Interesse an der Geschichte der Medizin- und Bioethik ist teils der Not, teils dem Zufall zuzuschreiben. Einerseits der Not, an einem einst rein medizinhistorischen, mittlerweile fast rein medizinethischen Institut zu arbeiten, an dem die Auseinandersetzung mit dem (Miss-)Verhältnis von Geschichte und Ethik quasi unausweichlich ist und einem Bedürfnis nach Historisierung der Institutionalisierung von Ethik in der Medizin den Weg geebnet hat. Andererseits dem Zufall, in scheinbar unverwandten Forschungsbereichen auf Argumente zu stoßen, die durch den Aufstieg von Ethik in der Medizin verallgemeinert und durchgesetzt worden sind: Etwa die Rechtfertigung der Requirierung von Leichnamen für die Anatomie durch Berufung auf einen „mutmaßlichen Willen“ der Verstorbenen, der dann ein halbes Jahrhundert später eine zentrale Rolle im Patientenverfügungsgesetz erlangt. Im Rahmen des Netzwerks „Geschichte der Medizin- und Bioethik in Deutschland“ freue ich mich auf neue Impulse und Perspektiven, die über meine Fragestellung der wissenschaftlichen und politischen Legitimierung von Ethik in der Medizin – als Diskurs wie als Disziplin – hinausweisen und Verbindungen mit anderen Forschungsprojekten zur Medizin- und Wissenschaftsgeschichte der 1970er und 1980er Jahre herstellen.